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Thema des Tages

Polartiefs - Eisige Hurrikans in polaren Breiten?

Der aufmerksame Leser vergangener Themen des Tages wird sich
sicherlich über die heutige Überschrift wundern, denn in zahlreichen
Beiträgen wurden diverse Daten und Erklärungen zu Tropenstürmen (u.a.
im Nordatlantik als "Hurrikan" bezeichnet) dargelegt. Doch wie kann
solch ein tropisches Wetterphänomen mit den Worten "polar" und
"Arktis" in Verbindung gebracht werden?

Bevor wir die Fragen klären, gehen wir zunächst einmal näher auf
diese speziellen Tiefdruckgebiete ein. Entsprechend ihres Namens
treten sie besonders in den Polargebieten von Arktis und Antarktis
auf. Dabei handelt es sich meist um sehr kleinräumige
Tiefdruckgebiete, die eine Lebensdauer von mehreren Stunden bis teils
auch mehreren Tagen haben und teils sehr kräftig ausfallen können.
Die "European Polar Low Work Group" gibt folgende Definition an: "Ein
Polartief ist ein kleinräumiges, aber ziemlich intensives
Tiefdruckgebiet in maritimen Gebieten mit einem Durchmesser von 100
bis 600 km und mit bodennahen Windgeschwindigkeiten von mehr als 55
km/h (Bft 7)."
Der Antrieb dieser Wirbel ist u.a. in der Konvektion zu finden. Diese
entsteht, wenn sehr kalte arktische oder antarktische Luftmassen von
ihrer kontinentalen Ursprungsregion z.B. durch eine großräumige
Tiefdruckentwicklung auf Reise geschickt werden und die umgebenden
Ozeane erreichen. Das Wasser weist im Vergleich zu der bitterkalten
Kontinentalluft eine deutlich höhere Temperatur auf, die in
zunehmender Entfernung zur Eiskante auch sukzessive ansteigt. Man
kann sich den Ozean nun wie eine Heizplatte vorstellen, der die
darüberstreichende eisige Luftmasse von unten "aufheizt". Die Folge
ist, dass die Luftmasse zunehmend labil wird, denn die über dem Meer
erwärmte Luft steigt auf, kühlt ab und kondensiert zu Schauerwolken.
Je größer der Temperaturunterschied zwischen der Luft und dem Wasser
ist, desto hochreichender ist die Konvektion, wobei in der
Polartiefvorhersage eine Temperaturdifferenz zwischen Meeresniveau
und 5 km von mehr als 44 Kelvin (ein Kelvin entspricht einer
Temperaturdifferenz von einem Grad Celsius) als günstig für die
Polartiefentwicklung angesehen wird. Wenn nun durch einen externen
Faktor wie z.B. eine Insel wie Svalbard/Spitzbergen oder aber in
einem Bereich mit hohen horizontalen Temperaturgegensätzen ein Wirbel
entsteht, dann kann dieser die Konvektion zunehmend zentrumsnah
organisieren und konzentrieren. Die in der Konvektion stattfindende
Kondensation sorgt für eine Freisetzung latenter Wärme, die
zentrumsnah den Tiefdruckwirbel weiter antreibt und verstärkt.

Die Folge ist ein kleinräumiger Wirbel, in dem Sturmböen, teils auch
schwere Sturmböen, auftreten können. Bei Durchzug der Schauer muss
mit heftigem Schneefall oder Graupel gerechnet werden, teils treten
auch Gewitter auf. Wenn solch ein Polartief auf Land trifft, kann man
sich vorstellen, dass engräumig mit massiven Beeinträchtigungen im
Straßenverkehr gerechnet werden muss. Auch für die Schifffahrt
stellen diese Tiefdruckgebiete eine Gefahr dar (u.a. durch heftigen
Wellengang und Vereisung aber auch durch eine sehr plötzliche und
markante Windzunahme). Sobald diese Tiefdruckgebiete auf Land
treffen, fehlt ihnen ihre "Heizplatte". Über Land schwächen sich die
vertikalen Temperaturunterschiede wieder ab und mit ihr auch die
Konvektion. Dies kann binnen weniger Stunden passieren, jedoch können
die Reste in Form kräftiger Schneeschauer bis weit ins Landesinnere
für teils erheblichen Neuschnee sorgen.
Unter www.dwd.de/tagesthema wird ein solch prachtvolles Exemplar
eines Polartiefs gezeigt, welches im vergangenen Januar vor Norwegen
auftrat.

Besonders früh entbrannte das Interesse an der Erforschung dieser
Tiefdruckgebiete in Skandinavien und Großbritannien, wo wiederholt
teils kräftige Polartiefs für Ungemach sorgten. Zwar sind die
Auswirkungen dieser Polartiefs in der Literatur sehr weit in die
Vergangenheit zurück zu verfolgen, doch erst mit Hilfe von polar
umlaufenden Wettersatelliten während der 60er Jahre erkannte man, wie
häufig diese Tiefdruckgebiete während der Winterzeit wirklich
auftraten. Und sie sind ja nicht nur auf den Nordatlantik
beschränkt. Auch im Nordpazifik und rund um die Antarktis können
diese Polartiefs auftreten, fallen in der südlichen Hemisphäre jedoch
meist schwächer aus, was unter anderem auf die eher zonale Strömung
rund um die Antarktis zurückzuführen ist (zonal bedeutet eine von
West nach Ost ausgerichtete Strömung mit einer geringeren
Wahrscheinlichkeit, dass die kalte Kontinentalluft nordwärts über die
freien Ozeanflächen transportiert werden kann). Global gesehen ist
die Häufigkeit des Auftretens sehr variabel und schwankt zum Beispiel
im Nordatlantik zwischen 30 und 60 Ereignissen pro Jahr, mit teils
noch größeren Ausreißern nach oben.

Bleibt noch die zu Beginn gestellte Frage zu beantworten, wie der
Begriff "Hurrikan" mit "Arktis" in Verbindung gebracht werden kann.
Laut einer Auflistung, die von E. Rasmussen in "Polar Low: Mesoscale
Weather System in the Polar Regions" aufgestellt wurde, trat unter
anderem am 25. April 1985 ein so kräftiges Polartief auf, dass
Bodenwinde von mehr als 120 km/h (Bft 12) gemessen wurden, was den
Schwellenwert für einen Hurrikan darstellt. Ähnlichkeiten der
tropischen und polaren Wirbel sind, dass sich bei beiden Sturmarten
durch die Freisetzung latenter Wärme zentrumsnah ein sogenannter
"warmer Kern" entwickelt, also eine positive Temperaturanomalie.
Diese ist bei Polartiefs meist nur seicht, während sie in
Tropenstürmen hochreichend ist. Die Anomalie bedeutet nichts weiter,
als dass diese Tiefdruckgebiete durch die starke, zentrumsnah
organisierte Konvektion angetrieben werden. Besonders kräftige
Polartiefs bilden manchmal auch die für Tropenstürme typische
"Augenstruktur" aus, also einen wolkenfreien Bereich direkt im
Zentrum des Sturmes. Auch weitere Studien u.a. mit numerischen
Modellen zeigen gewisse Ähnlichkeiten auf, wobei dies jedoch bis
heute noch Gegenstand intensiver Untersuchungen ist. Eine eindeutige
Antwort kann daher bis heute nicht gegeben werden.


Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 28.10.2015

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst


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